Nachfolgend ein Artikel mit freundlicher Genehmigung aus dem Weblog von Sascha 313
Wir schreiben das Jahr 1918. Gerade hatte die Oktoberrevolution gesiegt, und die junge Sowjetmacht mußte sich schützen, so gut es ging. Die Feindseligkeit der Alliierten hatte sie in eine isolierte Stellung gedrängt. Ihre schwachen Kräfte reichten nicht aus, um der gewaltigen deutschen Heeresmacht ohne Verbündete entgegenzutreten. Und die unmittelbarste Bedrohung ging von Deutschland aus. Um Rußland zu retten und Zeit für die dringendste Aufbauarbeit zu gewinnen, schlug Lenin ein sofortiges Friedensangebot vor. Auf Lenins Wunsch reiste sofort eine sowjetische Friedensdelegation nach Brest-Litowsk, dem Hauptquartier der deutschen Ostarmee, um die Friedensbedingungen der Deutschen kennenzulernen…
Trotzki läßt die Friedensverhandlungen platzen
Die Opposition gegen Lenin wurde von dem ehrgeizigen Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Leo Trotzki, geführt, der sich als Lenins Nachfolger dünkte. Vierzehn Jahrelang war Trotzki ein erbitterter Feind der Bolschewiki gewesen, bis er schließlich wenige Monate vor der Oktoberrevolution, im August 1917, Lenins Partei beitrat und mit ihr zur Macht gelangte. Jetzt organisierte Trotzki innerhalb der bolschewistischen Partei eine Linksopposition.
Eine Delegation unter Leitung von Trotzki reist nach Brest-Litowsk
Trotzki hatte von Lenin den ausdrücklichen Auftrag erhalten, in Brest-Litowsk zu unterzeichnen. Statt dessen forderte Trotzki das europäische Proletariat mit flammenden Worten auf, sich zu erheben und seine Regierungen zu stürzen. Die Sowjetregierung, erklärte er, würde um keinen Preis mit einem kapitalistischen Regime Frieden machen. »Weder Frieden noch Krieg!« rief Trotzki aus. Er sagte den Deutschen, die russische Armee werde weiter demobilisieren, aber er lehnte es ab, den Frieden zu unterzeichnen. Lenin kritisierte scharf Trotzkis Verhalten in Brest-Litowsk und bezeichnete seine Vorschläge — »Abbruch des Krieges, Ablehnung eines Friedensschlusses und Demobilisierung der Armee« — als »Wahnsinn oder etwas Ärgeres als Wahnsinn«.
Ein britischer Agent versucht die Bolschewiki zu spalten
Bruce Lockhart war ein Produkt der exklusiven englischen „Public-School“-Erziehung. Mit 24 Jahren trat er in den diplomatischen Dienst ein. Er war hübsch und intelligent und galt nach kurzer Zeit als einer der begabtesten und meistversprechenden jungen Leute des britischen Außenamtes.
Mit 30 Jahren war er Vizekonsul in Moskau. Er sprach fließend Russisch und kannte alle Intrigen und Einzelheiten der russischen Politik. Zugleich war er Agent des englischen diplomatischen Geheimdienstes. Inoffiziell hatte er die Aufgabe, die innerhalb der Sowjetregierung bestehende Opposition für die britischen Interessen auszunutzen. Als Lockhart Anfang 1918 in Petrograd eintraf, weilte Trotzki als Führer der sowjetischen Friedensdelegation in Brest-Litowsk.
Lockhart enthüllte später in seinen Memoiren »British Agent«(1), daß man sich im englischen Außenamt für diese Mißstimmigkeiten zwischen Lenin und Trotzki außerordentlich interessierte — »Mißstimmigkeiten, von denen sich unsere Regierung sehr viel erhoffte.« Trotzkis Verhalten verursachte den Zusammenbruch der Friedensverhandlungen. Das deutsche Oberkommando ging von Anfang an widerstrebend auf die Verhandlungen mit den Bolschewiki ein. Trotzki spielte nach Lenins Aussage den Deutschen in die Hand und »half den deutschen Imperialisten«.(2)
Die gewaltige deutsche Heeresmacht greift an
Zehn Tage nach dem Abbruch der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk begann das deutsche Oberkommando an der Ostfront eine Generaloffensive von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Im Süden überfluteten die deutschen Armeen die Ukraine. Im Mittelabschnitt wurde der Angriff durch Polen gegen Moskau vorgetragen. Narwa fiel im Norden, Petrograd war bedroht. An allen Teilen der Front brachen die letzten Überreste der alten russischen Armee auseinander. Das neue Rußland schien dem Untergang geweiht.
Eine Abteilung von Arbeitern aus dem Donezkgebiet im Kampf gegen die deutschen Interventen in der Nähe der Ortschaft Gundorowski 1918
Da strömten aus den Städten die in aller Eile von den bolschewistischen Führern mobilisierten bewaffneten Arbeiter und Rotgardisten herbei. Die aus ihren Reihen gebildeten Regimenter warfen sich dem Ansturm des Feindes entgegen. Die ersten Einheiten der Roten Armee wurden eingesetzt. Am 23. Februar 1918 gelang es, den deutschen Angriff bei Pskow zum Stillstand zu bringen.(3) Petrograd war nicht mehr unmittelbar bedroht. Wieder begab sich eine sowjetische Friedensdelegation nach Brest-Litowsk — diesmal ohne Trotzki.
Quelle:
M.Sayers – A.Kahn, Die große Verschwörung, Verlag Volk und Welt,
Berlin (DDR), 1953, S.33ff.
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Anmerkungen:
(1) Memoirs of a British Agent (Putnam, London, 1934)
(2) Obwohl Trotzki die Kampfunfähigkeit der russischen Armee zugab, weigerte er sich als »Weltrevolutionär«, in Brest-Litowsk den Friedensvertrag zu unterzeichnen, weil ein solcher Friede einen Verrat an der internationalen Revolution bedeuten würde. Mit dieser Begründung lehnte es Trotzki ab, die Instruktionen Lenins zu befolgen. Später erklärte Trotzki sein Verhalten aus einer falschen Beurteilung der Sachlage. So sagte er auf dem bolschewistischen Parteitag vom 3. Oktober 1918, nachdem der inzwischen erfolgte Angriff Deutschlands auf Rußland beinahe zur Besetzung von Petrograd und zur Vernichtung des Sowjetregimes geführt hatte: »Ich halte es für meine Pflicht, in dieser maßgebenden Versammlung auszusprechen, daß zu einer Zeit, wo viele von uns und auch ich die Unterzeichnung des Friedens von Brest-Litowsk für unzulässig hielten, einzig und allein Genosse Lenin sich standhaft und mit erstaunlichem Weitblick gegen unsere Opposition für die Annahme der Bedingungen einsetzte . . . Wir müssen zugeben, daß wir im Unrecht waren.«
Trotzki war nicht der einzige, der zur Zeit der Verhandlungen von Brest-Litowsk einen solchen Standpunkt einnahm. Während er in Brest-Litowsk agitierte, richtete sein wichtigster persönlicher Vertreter in Moskau, Nikolai Krestinski, öffentliche Angriffe gegen Lenin und sprach von der Notwendigkeit, einen »revolutionären Krieg gegen den deutschen Imperialismus, die russische Bourgeoisie und einen Teil des von Lenin gelenkten Proletariats« zu führen. Trotzkis Bundesgenosse in dieser oppositionellen Bewegung, Bucharin, brachte in einer Sonderkonferenz der sogenannten linken Kommunisten folgende Resolution ein: »Im Interesse der internationalen Revolution halten wir es für ratsam, auf den Sturz der Sowjetmacht hinzuwirken, die nur noch eine formale Geltung hat.« Im Jahre 1923 enthüllte Bucharin, daß die Opposition während der Krise von Brest-Litowsk tatsächlich die Spaltung der bolschewistischen Partei, den Sturz Lenins und die Errichtung einer neuen russischen Regierung plante.
(3) Der 23. Februar 1918, der Tag, an dem es den Russen gelang, die Deutschen bei Pskow zurückzuschlagen, wird als Geburtstag der Roten Armee gefeiert.