Das Russische Wunder – Vorwort

Angefangen hat es ganz harmlos

Im Herbst 1958 fuhren wir nach Mos­kau, um mit den Vorbereitungen für einen großen Dokumentarfilm über die Sowjetunion zu beginnen. Obwohl das keineswegs unsere erste Reise ins Land der Sowjets war, ahnten wir da­mals nicht, was wir uns da vorgenom­men hatten, welches Ausmaß unsere Arbeit annehmen würde.

Zwei Jahre wollten wir an diesem Film arbeiten. Uns schien das viel Zeit zu sein zwei lange Jahre in einem fremden Land und nur mit einem ein­zigen Film beschäftigt. Als wir dar­über mit dem Minister für Kultur der UdSSR sprachen, lächelte er und meinte, für die Begegnung und Auseinandersetzung mit einem so epochalen Ereignis wie dem Aufbau der kom­munistischen Gesellschaft, für die künstlerische Bewältigung eines sol­chen Meilensteins in der Geschichte der Menschheit seien zwei Jahre ge­wiß zuwenig und auch fünf Jahre nicht zuviel.

Der Minister hatte völlig recht. Nach zwei Jahren im Herbst 1960 waren noch nicht einmal die Dreharbeiten abgeschlossen, und die Suche nach alten Dokumenten und nach altem film- und Fotomaterial war gerade erst richtig angelaufen. Die künstlerische Verarbeitung unseres Materials steckte damals noch in den Anfängen. Inzwischen haben wir und unsere Mitarbeiter in der Sowjetunion mehr als 800000 Kilometer zurückgelegt größtenteils mit dem Flugzeug, aber auch viele Tausende Kilometer mit der Elsenbahn und mit dem Auto. Rund 100000 Meter Filmaufnahmen haben wir neu gedreht, und noch einmal 100000 Meter haben wir in den Archi­ven gesammelt. Einhundertundfünfundzwanzig Stunden müßte man im Kino sitzen, um dieses Material zu sehen. Außerdem sammelten wir rund 4000 Fotografien aus der Geschichte des zaristischen Rußland und aus den ersteen Jahren des Sowjetlandes. Unser Dokumentararchiv umfaßt mehr als 400 Dokumente.

In diesen Jahren der Studien und des Reisens, des Filmens und des Forschens nach Bildern und Dokumenten erkannten wir, daß mit einem Film al­lein unserem Anliegen nicht genüge getan werden konnte. Aus dem einen Dokumentarfilm, den wir machen wollten, wurden zwei Filme mit fast vierstündiger Laufzeit; hinzu kom­men fünf einstündige Fernsehsendun­gen, mehrere Rundfunkberichte und Veröffentlichungen in der Presse. Schließlich reifte in uns der Entschluß, dieses Buch herauszugeben, um unsere Gedanken, Erkenntnisse und Erlebnisse, die Bilder und Dokumente auch dem Bücherfreund darzubieten. Wenn es auf dem Büchermarkt er­scheint, sind vier Jahre seit Beginn unserer Arbeit vergangen, und bis zum Abschluß aller Arbeiten an den Filmen, den Fernseh- und Rundfunk­sendungen über »Das Russische Wunder« vergeht noch ein weiteres Jahr.

Fünf volle Jahre sind dann seit Beginn unserer Arbeit vergangen. Es sind die fünf ereignisreichsten und schönsten Jahre unseres Lebens. Der Aufbau der kommunistischen Gesellschaft in der Sowjetunion ist das großartigste und begeisterndste Ereignis in der bisherigen Geschichte der Mensch­heit. Wir hatten das große Glück, wäh­rend mehrerer Jahre Zeugen dieses Aufbaus zu sein, und nichts liegt uns mehr am Herzen, als über das Erlebte zu berichten.

Im März 1959 sagte N. S. Chruschtschow auf der Arbeiter – Konferenz in Leipzig: »Diejenigen, die ihre Politik auf der Einschüchterung der über den Kom­munismus schlecht informierten Men­schen aufbauen, werden ausgespielt haben, wenn diese Menschen erfah­ren, daß der Kommunismus kein Schreckgespenst ist, daß er der gan­zen Menschheit Glück bringt.«

Wir möchten mit unserer Arbeit dazu beitragen, die Wahrheit über den Kommunismus bekanntzumachen. So viele Tatsachen als möglich wollen wir vermitteln in Wort und Bild -, Tatsachen, die es dem Leser erlauben, sich selbst eine auf Sachkenntnis be­ruhende Meinung zu bilden. Wenn der Leser jedoch auf den folgenden Seiten Tatsachen und Ereignisse vermissen sollte, so bitten wir ihn zu bedenken, daß ein Werk gewiß nicht zu leisten vermag, was tausend Bücher nicht vermögen.

Für unsere Arbeit fanden wir zu Hause und in der Sowjetunion Freunde, För­derer, enthusiastische Mitarbeiter in großer Zahl. Ohne sie hätten wir die­ses Buch nicht herausbringen können. Von ganzem Herzen danken wir ihnen allen für ihren Rat und ihre Tat. Leider ist es ganz unmöglich, sie alle hier zu nennen. Es sei uns ge­stattet, stellvertretend für sie, vier Namen zu nennen: Renate und Ri­chard Cohn-Vossen, Manfred Krause, Gustav Wilhelm Lehmbruck. In un­säglich mühevoller Arbeit haben sie, gemeinsam mit uns, aus den 200000 Metern Film (das sind über 10 Millio­nen Einzelbilder), aus den 4000 Foto­grafien und 400 Dokumenten jene 800 Bilder und Dokumente ausgewählt, die in diesem Buch veröffentlicht werden.

Potsdam-Babelsberg
April 1962

Annelie und Andrew Thorndike

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